Das Krokodilbeispiel ist sehr gut.
Was passiert da? Der SL versucht Stimmung aufzubauen, der Spieler blockiert das, weil er jetzt Krokodile fangen und abrichten will. Gut, ich höre immer, dass es wichtig ist, dass die Spieler auch dazu beitragen, dass die Stimmung aufgebaut wird. Aber hier ist das wohl nicht in Ordnung, sondern der böse Spielleiter macht gerade das ergebnisoffene, freie Rollenspiel kaputt, weil er den Spieler unterdrückt und verhindert, dass der Spieler jetzt seine Krokodile bekommt. Ist das wirklich so? Ich seh das noch ein wenig anders: Die Idee des Spielers ist voll bescheuert. Er kann auch mit Abrichten 16 nicht mal eben ein Krokodil abrichten, seine Ausrüstung zu tragen. Da geht doch noch nicht mal ein "Ja, aber"! Der Spielleiter möchte den Konflikt vermeiden, also gibt es einfach keine Krokodile.
Das Problem ist nun nur, dass DSA den Spieler allein lässt. Die Regeln sind zu ungenau, als dass man damit was anfangen könnte. Vielleicht denkt der Spieler, ja dass man wirklich ad-hoc ein Krokodil abrichten kann, wenn man das nur gut genug beherrscht (weil man z.B. 1000 Orks erschlagen hat und darum die nötige Stufe aufweist) oder es passt zu seiner Vorstellung von Aventurien, wo sein Charakter dann so eine Art magischer Beastmaster wäre. Eigentlich wäre DSA nun in der Pflicht gewesen, den Spieler nicht als Munchkin darzustellen, sondern eine vernünftige Lösung anzubieten. Und zum Beispiel genaue Regeln aufzustellen, wie man nun Abrichten spielförderlich einsetzen kann und so auch zu klären, ob der Beastmaster ein valides Charakterbuild in DSA ist.
Zum Vergleich: In D&D weiß ich ziemlich genau, was ich mit Handle Animal anfangen kann und dazu gehört nicht das Abrichten zweier hungriger Krokodile, die mir im Sumpf über den Weg laufen. Und man muss schon ein Druide sein oder sonstwie an Wild Empathy, eine extra-ordinary ability, gekommen sein, um ein angriffslustiges Tier friedlich zu stimmen.
Insgesamt ist das ganze aber ein Negativ-Beispiel. Und zwar kommt direkt danach ja die Erklärung: Dass eine Spielrunde den Stil finden muss, der zu ihr passt. In dem Sumpf-Beispiel passen die Stile von Spielleiter und Spieler nicht zueinander. Das ist ja erstmal eine Feststellung darum ist das ein Negativbeispiel. Das ist doch klar wie Kloßbrühe und das ganze zielt einfach darauf ab, das zu finden, was man später als kreative Agenda bezeichnen sollte.
Der Text hat auch einen klaren Adressaten. Das sind zunächst Spielleiter, denen es schwer fällt, zu improvisieren und die ein gewisses Maß an Vorbereitung benötigen. Ich zähle mich da auch zu. Und die Tipps hören sich gar nicht mal so verkehrt an:
- Kenne die Schlüsselfiguren und ihre Motive
- Kenne die Landschaft, die Grundrisse der Höhlen und Gebäude
- "Nur wenn Sie wirklich souverän über diese Bestandteile des Abenteuers verfügen, können Sie auf überraschende Spieler-Aktionen angemessen eingehen."
Das kann ich so unterschreiben. Und das ist auch eine Kritik am Sumpf-Meister. Der konnte nämlich nicht angemessen auf überraschende Spieler-Aktionen eingehen. Er war nämlich schlecht vorbereitet.
Es wird gefordert, eine Gängelung [sic!] der Spieler zu vermeiden, stattdessen sollen sie Gefühl erhalten, "daß ihnen tatsächlich jede beliebige Aktion zur Verfügung steht." Hier ist ein wenig unklar, ob es nur um das Gefühl der Freiheit geht oder tatsächlich die Freiheit vorhanden sein soll. Im Kontext (auf Spieler-Aktionen eingehen, Meisterpersonen entsprechend ihrer Motive und Möglichkeiten frei handeln lassen) betrachtet deutet es aber mehr darauf hin, den Spielern innerhalb eines vorbereitenden Abenteuers Freiheiten zu lassen. Also ergebnisoffenes oder zumindest handlungsoffenes (wie komme ich zum Ergebnis) Spiel, aber keine Sandbox.
Ach ja, zur Erinnerung: In dem Text geht es gezielt und Atmosphäre und Stimmung. Der Text widmet sich deshalb der Stimmung, weil in anderen Rollenspielen nach Ansicht des Autors gerade dieser Aspekt zu kurz kommt, obwohl er besondere Beachtung verdient. Darum liegt der Fokus darauf und nicht auf anderen Aspekten der Spielleitung, die ja nicht negiert werden.
Dann geht es darum, wie man Stimmung schafft. Genaue Beschreibung blabla, genaue Maße aber nur, wenn sie relevant werden. Gut, darüber kann man streiten. Ein gewisses Maß an Beschreibung sollte finde ich schon sein (da es mir wirklich bei der Visualisierung hilft, sonst wird halt alles sehr stereotyp).
Fokus auf Meisterpersonen. Figuren mit "echtem Eigenleben" füllen. Sie sollen auch außerhalb der Spielwelt existieren. Finde ich plausibel und wichtig. Jede wichtige Meisterperson sollte über Motive und eine Funktion verfügen und entsprechend ihres Hintergrundes logisch verhalten. Das ist für mich auch der Kern für freies Rollenspiel, denn ohne eine Vorstellung der Motive kann ich auch keine Figuren spontan handeln lassen. Ähnliche Tipps liest man auch heute in Blogs und Foren.
Der Text spricht auch von der Eigenbeteiligung der Spieler. Das ist doch toll. Und der Text sagt auch, dass Spieler und Spielleiter [sic!] auf einer Seite stehen. Man soll den Meister auch mal ausreden lassen und man soll auch mal die Stimmung, die der Meister präsentiert, aufnehmen und darauf eingehen. Finde ich jetzt nicht verwerflich. Wenn man die Atmosphäre albern und nicht gruselig findet und deshalb ständig Witze macht, sollte man sich nun mal im Klaren sein, dass man dem Meister gerade voll an den Karren fährt. Hier könnte natürlich die Spielhilfe einen Schritt weitergehen: Vielleicht ist das, was der Spielleiter gerade abzieht, ja wirklich einfach kacke. Oder es gibt andere Probleme, weil er z.B. die Spieler gängelt. (Das ist denke ich nämlich der Hauptgrund, warum Spieler blockieren, wenn der Spielleiter gerade Atmosphäre aufbauen möchte.)
Der Text betont auch immer wieder, dass das ja nur Vorschläge sind und man selber gucken muss, was man damit nun anfängt.
Gut finde ich noch die letzten Abschnitte, die der Spieler-Kleinhaltung den Kampf ansagen:
"Zum Beispiel gibt es nur wenige Leute, von denen ein Held der 18. Stufe einen Befehl, einen Rat oder einen Auftrag annimmt. Bei Verhandlungen ist er es gewohnt, die Preise festzusetzen und die Umstände zu bestimmen. Seine Gegner wählt er danach aus, ob sie ihm ebenbürtig sind." - Das ist ein Ratschlag, den ruhig so mancher aktueller DSA-Abenteuerautor mal beherzigen sollte!
Eigentlich lässt sich das ganze reduzieren auf
- Kenne die Orte und Personen. Bereite dich vor.
- Beschreibe Orte und Personen (=Stimmung).
- Statte Meisterpersonen mit Motiven aus. Lass Meisterpersonen glaubwürdig handeln.
- Gängle nicht die Spieler. Sei darauf vorbereitet, dass Spieler etwas tun, auf das du nicht vorbereitet bist.
- Spieler und Spielleiter sind Verbündete und spielen kooperativ. Unterstützt euch. Spielt euch die Bälle zu.
- Spieler und Heldentrennung. Der Held soll sich plausibel verhalten und nicht wie der Narr Benjamin mit einem Schwert in der Hand.
Für mich hört sich das alles nicht so wild und böse an. Vieles davon liest man in aktuellen Spielen genauso.
Wenn man mit dem Artikel im Hinterkopf noch mal zum Krokodilbeispiel zurückgeht, könnte man z.B. sagen:
- Die Spieler hätten nach Ansicht des Autoren stärker auf die Stimmung eingehen sollen, die der Spielleiter präsentiert.
- Der Spielleiter hätte auf die unerwartete Spieler-Aktion (Krokodil fangen und abrichten) eingehen sollen. (Was nicht heißt, dass der Spieler seine Krokodile auf dem Servierteller präsentiert bekommt.)
Allerdings braucht die heutige, aufgeschlossene Rollenspiel-Szene Kiesowsches Spiel als Feindbild. Daher ist völlig egal, was der Kerl wirklich geschrieben oder gemeint hat.